Buchpräsentation "Agrar-Rebellion Jetzt"
Um ihr neues Buch „Agrar-Rebellion Jetzt“ zu präsentieren haben Sepp und Josef Holzer am 24.11.2023 ins Naturhistorisches Museum Wien geladen. Am Rednerpult stand unter anderem auch Prof. Dr. Bernd Lötsch, ehemaliger Direktor des NHM,
Doyen der österreichischen Umwelt- & Ökologiebewegung und langjähriger Wegbegleiter von Sepp Holzer.
Am Beginn seiner Rede erzählte Dr. Lötsch eindrücklich von ihrer ersten, folgenreichen Begegnung am Krameterhof:
Sepp Holzers Zugang ist ein ganz ungewöhnlicher und erinnert mich an Worte des Naturforschers und -philosophen John Muir (1838-1914). Der Wildnis-Prophet und Klassiker des beginnenden Umweltwissens sagte: „Ich wechselte nur von einer Universität auf die andere – von der Universität von Wisconsin auf die Universität der Wildnis.“
Ich glaube, dass auch ich damals eine Wende im Sinn hatte, als ich meine Studenten und Studentinnen (der Ökologie für Ernährungswissenschaftler) im August 1995 von der Universität Wien in die „Wildnis-Kultur“ des kämpferischen Sepp Holzer entführte. Für zehn Tage auf den von Leben überquellenden Südhang des Schwarzenbergs – hoch über Ramingstein, bei Tamsweg im Lungau, zwischen 1000 und 1500 Metern Seehöhe.
Zunächst hatte ich den Erzählungen über den Krameterhof misstraut. Skepsis ist schließlich mein Beruf und Naturwissenschaftler können sehr präpotent sein, wenn man sie mit allzu Originellem konfrontiert. „Eh ich mich so sehr wundere, glaub ich’s lieber nicht!“, karikierte der witzige Roda Roda schon vor fast 100 Jahren die Haltung festgefahrener Schulgelehrter.
Ein vielseitiger HTL-Professor, der Dipl.-Ing. Habison, der bei Holzer hie und da ein Reh schoss oder einen Fisch fing, hatte mich mit dem ebenso blitzgescheiten wie querköpfigen Bergbauern zusammengebracht. Statt zu jammern, war dieser Mann voller Ideen:
Er terrassierte den kargen Steilhang und verwandelte ihn in eine schimmernde Treppe von Teichen, Tümpeln und Wassergräben – über dreißig an der Zahl.
Er pflanzte Obstbäume anstatt Fichtenplantagen, betrieb sein eigenes Kleinwasserkraftwerk, baute bildschöne Blockhäuschen für Sommergäste, war erfahren mit vielerlei Wildgehegen und züchtete sogar – unglaublich! – in seinem Glashaus Neuguinea-Papageien und Blaustirnamazonen. Warum? Weil man damals für ein Exemplar bis zu 10.000 Schilling erlösen konnte.
Holzer ist ein Naturbeobachter von Kind an, der Vielfalt statt Einfalt als Versicherung biologischer Systeme erkannt hatte und auch die ökonomische Gesundheit seines Betriebs auf Vielfalt gründete:
„Schaut‘s her! Hier hat man einen Ausblick auf die Terrassen. Wunderbar! Birnen-, Apfel- und Kirschbäume. Die meisten Bäume verkauf‘ ich dann wieder. Unten (!) auf 1100 Meter sind die Kirschen Mitte Juni reif und oben erst Ende September. Also hab‘ ich durchgehend Kirschen. Zwischen den Hügelbeeten sind Spargel, Topinambur, verschiedene Kartoffelsorten und alles Mögliche an Gemüse. Nach dem Forstgesetz gilt das, was ich hier mache, als ‚Waldverwüstung‘. Ich nenne es Wildniskultur.“
Wildniskultur. Das Wort allein ist schon ein erfrischend-provokanter Widerspruch in sich.
Wie kann etwas Wildnis sein, sobald man es kultiviert? Holzer hat jedenfalls mannhaft gegen Monokulturen gekämpft. „Die Monokultur ist die wahre Erbsünde des Zivilisations-Menschen“, hat einer meiner besten Kollegen einmal gesagt und auch Holzer behagten sie nicht. Er weigerte sich, neue „Stangen-Äcker“ (Fichtenforste) nachzupflanzen und geriet daher in Konflikt mit Verwaltung und Behörden.
„Warum sollte ich Fichten pflanzen? Ihre Nadelstreu versauert den Boden. Bei Hitze und Trockenheit sind sie anfällig für Schädlinge wie den Borkenkäfer und als Flachwurzler festigen sie meinen Steilhang nicht wirklich. Starkem Wind halten die Fichtenmonokulturen hier nicht Stand und eine Wildäsung sind sie auch nicht. Sie bringen keinen Dauernutzen – weder für die Tiere noch für mich.“ Also geriet Holzer als Waldverwüster in Klagen, Strafverfahren und Behördenprozesse. Er stand sie allesamt durch – nervlich und finanziell.
Auch mit dem überzogenen Bau von Forstwegen steht er auf Kriegsfuß: „Zu groß und zu kostspielig werden sie vorgeschrieben. Sie reißen die Hänge an und erzwingen teure Stützbauten.“ Dadurch, dass er auf seinem eigenen Hang so viel zu werken hatte, entwickelte dieser Bergbauer einen unglaublichen Sinn für Erdbau-Statik.
Sepp Holzers Erfahrung auf diesem Gebiet übertrifft die eines Bau-Ökologen oder eines Bau-Geologen und hat ihm auf seinen späteren Reisen (z.B. Südamerika) als Berater viel Achtung eingebracht. Er sagte Kommunalpolitikern voraus: „Da braucht ihr gar nicht erst zu bauen. Das kommt sowieso alles wieder runter!“ – und sollte Recht behalten.
Als ich mich nun bei den österreichischen Forstbehörden für Holzer einsetzte, war man dort irritiert. So tief war die Kluft zum forstlichen Ordnungsdenken. Wie konnte man sich für einen Sonderling einsetzen, der ganze Waldameisen-Völker in Jutesäcken auf seinen Grund trug und den ihn zur Rede stellenden Waldingenieur mit Fragen wie: „Meinen sie jetzt Formica rufa (Rote Waldameise) oder Formica polyctena (Kahlrückige Waldameise)?“ in Verlegenheit brachte.
Selbst Naturschutzbehörden reagierten verwundert: Wie könne ich seinen Bagger-gestützten Landschaftsbau naturnah finden? Wo es dann von Florenfälschungen und Exoten nur so wimmle? Was hätten Maroni-Bäume, Ginster, neuseeländische Kiwis, subtropische Wasserpflanzen, Edelhopfen, Zitruspflanzen und Süßkartoffeln hier im Lungau verloren? Dagegen wären selbst Fichten-Äcker noch standortgerecht.
Was also meinte Holzer mit dem charmanten Paradoxon von der Wildniskultur, bevor man ihm sagte, dass er eigentlich eine alpine Variante der Permakultur entwickelt habe? Permakultur, eine durch größte Vielfalt, gegenseitige Förderung von Arten, biologische Selbstregulation und -Kreisläufe nachhaltige Landwirtschaftsform mit erstaunlich hoher Flächenproduktivität, für deren Prinzip ein tasmanischer Professor, der Australier Bill Mollison, den alternativen Nobelpreis Jakob von Uexkülls erhalten hat.
Eine Permakultur – das Wort kommt bekanntlich von permanent, im Sinne von auf Dauer bzw. dauernd – das war auch Sepp Holzers Garten Eden. Er enthält alle Erfolgsprinzipien echter Wildnis-Ökosysteme – das scheinbare Chaos der Vielfalt ökologischer Nischen hinter dem sich die Ordnung des Lebendigen verbirgt: Synergien, Konkurrenz, Selbstregulation und Kreisläufe.
Um das alles besser verstehen zu können, empfehle ich ihnen nachdrücklich die Artikel von Josef A. Holzer junior, die sehr tief in die Ökologie hineinreichen.
Eigentlich ist Permakultur der gelenkte Zufall scharfsichtiger Naturbeobachter. „Der Zufall begünstigt nur den vorbereiteten Geist“, hat der große Louis Pasteur (1822-1895) gesagt. Und das passt auch genau auf Holzer senior, der aus Beobachtungen oft seine ganz ungewöhnlichen Schlüsse zog. Der Entdecker des Vitamin C, der Nobelpreisträger Albert Szent-Györgyi (1893-1986) sagte: „Forschen heißt zu sehen, was andere auch gesehen, jedoch dabei zu denken, was noch kein anderer gedacht.“
Es ist, als hätten Pasteur und Szent-Györgyi Holzer gekannt. Und müsste ich etwas zur Erklärung seines Erfolges hinzufügen, würde ich sagen: Erfolg ist, von den Zinsen der Natur zu leben, statt von ihrem Kapital.
Als ich Holzer kennenlernte, fragte er mich zweifelnd, ob sein Denken denn auch verstanden würde. Und ob er verstanden wurde! Meine Studenten und Studentinnen – aus den Bereichen Ernährungswissenschaften, Biologie und Ökologie – hingen tagelang an seinen Lippen.
Nun, was haben sie am Krameterhof gelernt? Dass Felsbrocken, die sich auf einem bisher unproduktiven Südhang von der Sonne aufheizen, wärmeliebende Nutzpflanzen wie Kürbis oder Marille fördern können – und das im Sibirien Österreichs mit einem Jahresmittel von unter 5 Grad Celsius und Frösten bis minus 25 Grad Celsius!
Sie lernten, wie man Obstbäume biologisch gegen Wildverbiss schützt und dennoch Wilddichten ermöglicht, von denen andere Reviere träumen.
Wann Lärchen geschlägert werden müssen, damit man aus ihnen Bauholz, dauerhafte Dachschindeln oder nahezu feuerfeste Kaminauskleidungen herstellen kann.
Wie man erfolgreich Sperlingskäuze (Glaucidium passerinum) gegen Mäuse und Wühlmäuse ansiedelt.
Wie man Holzstrünke zur Zucht von Hallimasch und Shiitake-Pilz – der in Deutschland damals 60 D-Mark pro Kilo erlöste – nutzt.
Wie man aus Sägespänen, Pilzsporen und Kräuterextrakt selbst auf versauerten Waldböden die besten Eierschwammerl (Pfifferling)-Kulturen anlegen kann.
Wie man Ohrwürmer (Dermaptera) als Nützlinge im Obstbau fördert.
Dass man auf Wegen im Hang gleichzeitig auch Gemüse ziehen kann.
Wie man aus Kirschbäumen und Enzianwurzeln die beste Wertschöpfung herausholt.
Wie man mit einem Schreitbagger samt drehbarem Baggerlöffel erwachsene Bäume vom Holzer-Hang für die Grüngestaltung von Hotelbauten verpflanzen kann – eine enorme Chance für Landwirte, die Holzer sehr früh erkannt und vorausgesehen hatte: Denn bei einem Tourismus-Bau für zig Millionen zahlt man gerne die ein-, zweitausend Euro für einen prächtigen Baum, der schon im nächsten Jahr voll wirkt, statt Jahrzehnte warten zu müssen, bis aus einem unscheinbaren Beserl endlich eine stattliche Laubkrone wird.
Sie müssten ihn erlebt haben mit seinen halbwild lebenden Mangalica-Wollschweinen, die jedes Wort ihres Herren zu verstehen schienen. Wenn er sie außerhalb ihres Waldgeheges antraf und deshalb beschimpfte, kehrten sie eilig durch das illegale Loch im Zaun zurück, aus dem sie zuvor ausgebrochen waren. Später nutzte er mit der ihm eigenen Schläue die gescheckten Turopolje-Schweine tiergerecht weil sie im brachen Acker den Boden auf Nahrungssuche buchstäblich mit ihren Rüsseln umpflügten – „Und wenn ich ihnen dann noch Erbsen streue, ersparen sie mir auch noch die Egge.“
Was hat sich Holzer nicht alles einfallen lassen und ausprobiert? Und tatsächlich wurde fast alles in seinen Händen zum Erfolg. Sobald er aber Konkurrenz bekam, das heißt, sobald ihm dabei Konkurrenz erwuchs – und mit etwas Verzögerung zu viele mit ähnlichem begannen – war er schon wieder ganz woanders, stets auf der Suche nach neuen Nischen. Konkurrenzlos zu bleiben ist ein ökologisches Erfolgsprinzip – bei ihm zugleich sein ökonomisches Geheimnis.
Die Zukunftsoffenheit machte ihn bald zum gesuchten Berater – nicht nur in Europa, auch in Übersee. Er hätte beispielsweise auch den Rest seines Lebens als Berater in Nord- oder Lateinamerika, in Kolumbien oder Ecuador verbringen können.
Ich selbst kenne etliche dieser Länder und weiß um die vielen Probleme, die sie haben. Während Holzer selbst eine Landwirtschaft im unwirtlichen österreichischen Kältepol erhalten musste, traf er in Lateinamerika auf Menschen, die im Paradies verhungerten.
Auch erkannte er sofort deren Probleme, die sich aus dem illegalen Bauen ergaben:
Riesige Siedlungen – je nachdem wo, werden sie Barrios oder Favelas genannt, – werden selbst an den steilsten Hängen errichtet. Sie sehen aus wie wilde Schrebergarten-Siedlungen: zusammengetragenes Wellblech, Plastikplanen und Holz. Oft kommt es dort nach Starkregen zu Hangrutschungen mit schrecklichen Folgen: ganze Dörfer sacken lautlos in die Tiefe. Auch hier war Holzer mit seinem Bergbauern-Blick derjenige, der gewusst hat, „wo’s lang geht“, worin die ursächlichen Probleme bestehen und wie man sie verhindern kann.
Von all dem wird in diesem überaus interessanten Buch noch die Rede sein. Was mir daran die größte Freude bereitet, ist, dass es sich dabei um eine Zusammenarbeit zweier hochbegabter Menschen handelt, die nicht selbstverständlich ist: Ein dominanter, temperamentvoller Vater schreibt hier mit seinem ebenfalls einschlägig bekannten Sohn, Josef Andreas Holzer, gelernter Forstwirt mit ökologischem Tiefgang, wie ich mit Freude sah.
Diese Neuerscheinung freut mich aus verschiedenen Gründen: Natürlich als Freund der Holzer‘schen Originalität und deren Wirkens, aber dass es nun – viele Jahre nach der Hofübergabe – zu einem derart kreativen Zusammenwirken zwischen Vater und Sohn in diesem Buch kam, das verdient, ein neuer Bestseller zu werden.
Sepp Holzers erfolgreiche Bücher sind so etwas wie „Mitmach-Werke“ am Beginn dieses schicksalshaft-dramatischen dritten Jahrtausends der zivilisierten Menschheit, das uns noch vielfältig fordern wird. Aber auch von den Kapiteln, die Josef Andreas Holzer zu diesem Buch beigetragen hat, bin ich sehr beeindruckt. Sie sind in einem anderen Stil geschrieben – auf einer sehr hohen, aber klar verständlichen Ebene.
Mit Josef Andreas Holzer hatte ich schon einmal zu tun, und zwar im Zusammenhang mit Naturschutz, genauer gesagt ging es um den Kampf gegen ein sogenanntes Ausleitungskraftwerk, das die Salzburg AG geplant hatte. Die wollten doch glatt die Mur im Lungau ableiten, stauen, durch Stollen jagen, was auch immer, um Strom zu produzieren. Und das ausgerechnet im Lungau! Kann man sich den vorstellen, ohne den landschaftsprägenden Fluss? Letztlich haben wir gemeinsam mit anderen erreicht, dass der Lungau der Lungau bleibt und natürlich freue ich mich ganz besonders, wenn aus originellen Agrariern und Naturbeobachtern auch schlagkräftige Naturschützer werden.